Freitag, 6. Januar 2012

Eclipse Phase

Your mind is software. Program it.
Your body is a shell. Change it. 
Death is a disease. Cure it. 
Extinction is approaching. Fight it. 

Eclipse Phase ist ein noch recht junges Rollenspiel um eine transhumanistische Gesellschaft, die sich nach einem katastrophalen Zwischenfall mit AI Experimenten auf der Erde kurz vor der kompletten Vernichtung sieht und nun anfangen muss, ihre wenigen verbliebenen Überreste, die über unser Sonnensystem verstreut sind neu zu organisieren. Die Spieler werden darin Teil dieser post-Erde Ära und dürfen in einem minutiös ausgearbeiteten Setting sowohl das Potential als auch die Gefahren einer Welt erkunden, in der der Mensch die nächste Stufe der Evolution erklommen hat. Das Spiel wurde unter Creative Common Lizenz herausgegeben und die Bücher können hier runtergeladen werden. Ich will hier in dem folgenden Beitrag weniger auf die regeltechnischen Aspekte und Inhalte des Spiels eingehen, sondern mehr einen Eindruck über die Welt und den Fluff der Bücher präsentieren.


Hintergrund: Kurz vor dem Fall war die Menschheit nur noch einen Schritt entfernt von Traum des Transhumanismus. Technische Entwicklungn ermöglichen das Hochladen des Egos (einige sprachen auch von der Seele des Menschen) in andere, synthetische Körper, sogenannte Morphs. Der Tod schien ausgetrickst. Doch dann kam es zum Fall. Durch Experimente des Militärs mit künstlicher Intelligenz kommt es zur Singularität. Das Total Information Tactical Awareness Network (TITANs) hat den Sprung von einem high-tech Netzwerk zu einer ich-bewussten Entität geschafft, das in der Lage ist, sich eigenständig weiter zu entwickeln. Kurz darauf beginnen die Angriffe auf Großstädte rund um den Globus. Die Nationen und Völker, zu beschäftigt mit den jahrhunderte alten Fehden und Kriegen, stürzen in ein desaströses Chaos aus Beschuldigungen und Drohungen bis hin zu Kriegserklärungen, ohne den wahren Grund der Angriffe zu erkennen. Als dann doch schließlich klar wird, dass die TITANs hinter all dem stecken, ist es zu spät und ein Großteil der Menschheit bereits ausgelöscht. Die wenigen, denen die Flucht von der Erde in die zahlreichen Habitate im Orbit, auf dem Mars und Mond gelungen ist, mußten viel aufgeben. Zahllose Menschen, die sich keinen Platz auf den wenigen Raumschiffen leisten konnten, versuchten ihr Glück darin, ihr Ego hochzuladen, in der Hoffnung irgendwann in der Zukunft an einen neuen Morph zu gelangen.
Dann, so plötzlich wie die Angriffe die TITANs angefangen haben, verschwanden sie. Mit einem Mal waren sie weg und hinterließen ein unvollbrachtes Werk: Der kleine Rest der Menschheit, der die Flucht von der nun unbewohnbaren Erde überlebt hat, war über das gesamte Sonnensystem verstreut worden, ein Großteil von ihnen lediglich als digitale Kopie in Großcomputern gespeichert. Es dauerte fast zehn Jahre bis sich die Menschen - oder viel mehr TransMenschen - von diesem Schock erholt haben. Jetzt, 10 Jahre nach dem Fall, blüht die transhumanistische Gesellschaft wieder auf: Sei es in von Hypercorps kontrollierten Kolonien auf Mars, Venus und Luna; den unzähligen und zum Teil von automatisierten Arbeitsmorphs betriebenen Bergbau-Raumhabitaten im Asteroidengürtel; auf den Monden Jupiters, die von einem totalitäeren Militärregime kontrolliert werden; oder in den aberhunderten von autarken Habitaten, die teils isoliert vom Rest des Sonnensystems mit neuartigen Gesellschafts- und Wirtschaftsformen experimentieren.
Dazu bieten noch die jüngst entdeckten Pandora Tore (Stargates in gruseliger) und der Kontakt mit den Factors, hoch entwickelten Schleim Aliens, allerhand zu erforschendes Material.

Kurz zum Buch (auch nur weil's wirklich so schön ist): Das Ganze wird in einem qualitativ hochwertigen Format präsentiert, den es nicht überall zu sehen gibt. Durchweg stimmungsvolle vollfarbige Illustrationen runden die sowieso schon sehr stimmungsvolle Aufmachung ab. Die Navigation durch die sinnvoll strukturierten Kapitel wird super einfach über eine tab-ähnliche Darstellung am Seitenrand ermöglicht. Absolut grossartige Idee. Da haben sich ein paar Leute wirklich viel Mühe gemacht!

Was wird gespielt?
Kommen wir zur wirklich wichtigen Frage: Wer sind die Charaktere und was machen sie? Und hier bin ich mich nicht ganz sicher, ob das Grundregelwerk und alle bisher erschienenen Bücher das Potential von Eclipse Phase vollends ausschöpfen. In den Büchern wird vorgeschlagen, die Spielercharaktere seien Mitglieder von Firewall, einer diversifizierten, verschwörerischen Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, die transhumanistische Gesellschaft vor jeglichen Gefahren zu schützen, die ihre Existenz bedrohen. Dabei werden sie z.B. als Agenten gegen Hypercorp Verschwörungen oder zur Verhinderung von Experimenten mit zu mächtiger AI überall dort eingesetzt, wo Firewall eine Gefahr sieht. Das alles klingt sehr nach den Taten klassischer Rpg Helden, die von verschiedensten Fraktionen beauftragt werden mal hier die böse Eishexe in den ewigen Weiten der Schneewüste zu bekämpfen oder dort das Ritual des Dämonenbeschwörers rechtzeitig zu verhindern bevor die dreigehörnten Teufel die Seelen der Dorfbewohner verzehren. Irgendeine Gefahr kommt auf: Schickt die Firewall Agenten! Das Problem darin ist viel weniger, dass dies schlecht oder falsch wäre, sondern liegt in der Tatsache, dass dieses Setting so viel mehr zu bieten hat.

Bisher offiziell publizierte Abenteuer sind:

Glory - in dem die Charaktere nach einer vermissten Person suchen sollen und dabei grausames entdecken.
Mind the WMD - in dem die Charaktere eine Ladung sicherstellen sollen, die eine potentielle Gefahr birgt
Bump In The Night - in dem die Charaktere ein seltsames Verschwinden von Leuten aufklären sollen
Continuity - in dem die Charaktere auf einem Raumschiff aufwachen ohne Erinnerung was in den letzten Stunden passiert ist.

Ich hab noch keinen Blick in Ego Hunter werfen können, aber die Kurzbeschreibung hört sich spannend an.

Die Abenteuer lesen sich durchweg sehr spannend. Aber ich habe das Gefühl, dass dabei ein wichtiger Aspekt des Eclipse Phase Settings etwas kurz kommt. Die Autoren haben sich immense Mühe damit gegeben, eine interessante und in meinen Augen glaubwürdige Zukunftsvision zu schaffen unter der vorgegebenen Prämisse. Es wird nicht nur ein alternatives Wirtschaftssystem vorgestellt, was - bis außer im konservativen planetarischen Konsortium - den bisher vorherrschenden traditionellen Kapitalismus ablöst, sondern Eclipse Phase geht dabei noch einen Schritt weiter. Alternative politische Systeme sind in den äußeren Siedlungen längst Standard und Soziale Netzwerke die Plattform auf der Interaktion stattfindet.

Ich fänd es schade, wenn diese potentiellen Konfliktpunkte nicht ausreichend ausgereizt werden würden. Dabei will ich nicht die üblichen Heldengeschichten (in denen die Chars mal wieder den Tag retten) nicht völlig verdrängen. Aber mir schweben politische Szenarien vor, in denen Anarchos durch Hackerattacken die Autorität der Jovianischen Republik untergraben und im Simulspace von Presse- und Meinungsfreiheit lehren. Ich will Arbeiteraufstände in New Dazhai auf Mars sehen, die gewaltsam niedergeschlagen werden von der korrupten Konzern-Sicherheitsagentur.

Und genau hier liegt meiner Meinung nach der Hund begraben: Die Spielwelt riecht zu sehr nach Ponyhof! Wo sind die Auseinandersetzungen, die noch kurz vor dem Fall fast ohne zutun der TITANs zum Tod von Millionen geführt haben? Ist ja schön und gut, wenn der Fall die Menschheit tatsächlich zusammen geschweißt hat. Doch das kauf ich nicht ab. Die Überreste sind ja eh noch vorhanden: In den totalitären Regimen der inneren Welten und Habitate und den von kapitalismus geprägten Gemeinschaften, die noch immer nicht begriffen haben, dass aufgrund von unbegrenzt zur Verfügung stehender Energie es keine so ausgeprägte Kluft zwischen Arm und Reich, Besitzer und Besitzlosen mehr geben muss.

Ich denke, dass Firewall als Institution perfekt ist, um das Spiel in Richtung Transhumanismus vs. Bedrohung X zu treiben und dadurch spannende Actionabenteuer zu erleben. So weit, so gut. Wenn es aber zu dem Punkt kommt, an dem politische Konflikte auf den Plan kommen, ist Firewall plötzlich ein eher ungeeigneter Mitspieler und Motivator. Zunächst einmal ist die Organisation unparteiisch und hat sich einzig der Rettung der Menschheit verpflichtet. Zum finde ich es schön, dass Firewall irgendwie diese etwas obskure Organisation ist, die im Hintergrund die Fäden in der Hand hält. Dieser "Illuminati"-Touch ist nützlich, wenn es um die unbegreiflichen Schrecken, ferne Welten hinter Pandora Toren oder die Factors geht. Alles ist Teil einer Verschwörung und die ständige Frage, welche Rolle die TITANs am Ende spielen werden. Aus diesen Gründen möchte ich Firewall in diese Überlegungen nicht einbeziehen. Selbstverständlich kann Firewall eine Teil der politischen Maschine sein, aber eben nicht der Motor.

Was ich hier in den folgenden Wochen machen möchte, ist daher einen etwas anderen Blick auf das Setting zu werfen, um alternative Optionen für Rollenspiel in der Welt von Eclipse Phase zu bieten, die einen sozio-politischeren Hintergrund haben. Ich will nicht das Spiel neu erfinden oder völlig verändern, sondern vielmehr seinen Horizont ein kleines bisschen erweitern. Ich mag das Setting wirklich sehr. Selten sind mir beim Durchlesen eines Rollenspiels so häufig spontane Ideen und Plothooks gekommen.

The setting is full of inspiration. Enhance it

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